Fritz Kriemer

Kriegsgefangenenlager Bretzenheim und

Mainz-Hechtsheim 1945

 

Sammellager für ca. 30.000 Kriegsgefangene, deren Heimat das Sudetenland war.

 

In den ersten Tagen des Monat April 1945 wurde in Mainz-Hechtsheim durch US-Truppen ein großes Kriegsgefangenlager errichtet. In der Kaserne Hechtsheim an der Gaustraße, (jetzt „Kaserne Kurmainz“ an der Rheinhessenstraße) befand sich eine große Lagerverwaltung der amerikanischen Besatzungstruppen. Das Lager erstreckte sich von der Kaserne nach Süden bis zum Marienbonner Weg (ca. 1 Kilometer) und hatte nach Westen eine Tiefe von 250 Metern. Die Größe des Lagers war ca. 25 Hektar. Die Zahl der Kriegsgefangenen soll im Höchststand 25.000 betragen haben, fast ausschließlich Sudetendeutsche und ein kleinerer Teil Ungarn. Die Gefangenen mußten am Anfang im freien Felde kampieren ohne jeden Schutz.

Mitte Juli 1945 wurde das Lager mit den Gefangenen an französische Besatzungstruppen übergeben. Nach der Übergabe begann eine große Hungerepidemie, der nach mehrfachen Angaben cirka 200 Gefangene zum Opfer fielen. Auf dem Hechtsheißer Friedhof sind 177 Soldaten in einer geschlossenen Grabanlage beerdigt.

So weit der amtliche Bericht aus Mainz. Nun privat weiter.

Ich geriet am 20.April 1945 in Colditz sw von Leipzig in amerikanische Kriegsgefangenschaft.

Wir wurden jeweils bis 50 Gefangene auf großen PKWs über Naumburg, Heiligenstadt, Welda ohne Verpflegung nach Bad Hersfeld gebracht. Wenn bei der Durchfahrt durch die Orte die Bevölkerung Brot oder andere Lebensmittel auf uns werfen wollte,   rasten die amerikanischen Fahrer ganz besonders schnell durch die Orte, und manch gut gemeine Lebensmittelspende verletzte die Gefangenen. In Bad Hersfeld war dann auf einer großen Wiese ein Lager eingerichtet, welches schon mit Drahtzäunen umgeben war. Hier gab es zum ersten Mal etwas zu essen und was noch wichtiger war, wir bekamen frisches (allerdings chloriertes) Trinkwasser. Während die Mannschaftsdienstgrade unter freien Himmel untergebracht waren, waren für die Herren Offiziere, besonders die mit den roten Streifen an den Hosen, schon Zelte aufgestellt. Um den 28.April 1945 wurde ich mit großen Teilen in amerikanischen Eisenbahnwaggons verladen und die Fahrt ging in Richtung Westen. Am 1.Mai 1945 war diese Reise in Bad Kreuznach zu Ende. Wir wurden ausgeladen und marschierten durch die frühlingsblühende Stadt einem unbekannten Ziel entgegen. Wie wir dann später erfuhren, war es der kleine Ort Bretzenheim, der unser Ziel und Aufenthaltsort für die nächste Zeit war. Dieses Kriegsgefangenenlager, welches bis zu den Weinbergen reichte und eine Fläche von ca. 210 ha, aufgeteilt in 24 Cages (Käfige), umfaßte, war zeitweise mit über einhunderttausend  Kriegsgefangenen  belegt. Das Lager stand von Ende April bis 10. Juli 1945 unter dem Kommando der US-Army, von Juli 1945 bis zum 31. 12.1948 verkleinert unter der Regie der Franzosen. Ab Oktober 1945 wurde es von den Franzosen als Durchgangslager benützt. Hunderttausende Gefangene durchliefen dieses Lager, um entweder in die Heimat entlassen zu werden oder nach Frankreich zur Zwangsarbeit transportiert zu werden. Eine vielhundertfache Zahl Gefangener überlebte das Lager nicht, starb den Hungertod oder fiel Seuchen und Krankheiten zum Opfer. Ihre genaue Zahl wird sich nicht mehr ermitteln lassen. Die Amis konnten nicht genug Verpflegung herbeischaffen. Ich erinnere mich besonders an die Festverpflegung zu Pfingsten. Da gab es für einhundert Mann ein Weißbrot zu ca. 1200 Gramm am Sonntag. Am Montag gab es je zwei amerikanische Kekse.

Ansonsten gab es Verpflegungskartons, wie sie für die einzelnen amerikanischen Soldaten bestimmt waren. Nur mußten diese Packungen verteilt werden. Da gab es dann für einen gefangenen z.B.: 1 Löffel Milchpulver, 1 Löffel Eipulver, 1 Löffel Bohnenkaffee, einen Löffel Bohnen, 1 Löffel Erbsen, von jeden eine Kleinigkeit, aber eben nur etwas für den Appetit und nicht für den großen Hunger. Deshalb starben in diesen Wochen und Monaten Tausende, die den Krieg überlebt hatten, nun am Hungertod. Die Bretzenheimer haben im „Alten Amtshaus“ eine Dokumentationsstelle über das Gefangenlager „Feld des Jammern“ eingerichtet und an der Straße nach Bad Kreuznach 1966 ein Mahnmal errichtet, zum Gedenken an die in der Gefangenschaft Verstorbenen und im Krieg Gefallenen.

Am 8.Mai wurde über Lautsprecher die bedingungslose Kapitulation der Deutschen Wehrmacht bekanntgegeben. Erst einzelne Stimmen, dann vielstimmig erscholl das Lied: „Nun danket alle Gott“. Wie viele dieser andächtigen Sänger werden wohl noch, trotzdem sie den Krieg überlebt haben, dann in diesen Lager verhungert sein. Da halfen auch nicht die vielen „Maiandachten“ die für die plötzlich als „Polen“ sich bekennenden Landser von ihren Pfarrern früh und am späten Abend abgehalten wurden.

Gegen Ende Mai 1945 wurden die Kriegsgefangenen nach Landsmannschaften sortiert. Ein Großteil der „Polen“ hatte an die Mützen kleine rot-weiße Fähnchen. Die Tschechoslowaken, zu denen wir Sudetendeutschen uns wegen der Entlassung in die Heimat bekennen mußten, trugen die rot-weiß-blauen Streifen. In der Zwischenzeit haben sich dank der Trennung nach

„Staatszugehörigkeit“ viele alte Bekannte zusammengefunden und es wurden Pläne ge-schmiedet, was werden wir tun, wenn wir wieder zu Hause sind. Wir hofften ja alle, in unsere Heimat entlassen zu werden. Zunächst aber sollten wir „Tschechoslowaken“ in das neue Sammellager nach Mainz-Hechtsheim transportiert werden. Damit wurde am 1.Juni 1945 be-

gonnen. Das ging zum Teil in Fußmärschen, zum Teil mit den großen Ami-LKW. Wir wurden unterhalb der zum Teil beschädigten Kasernen auf großen Feldern auf denen schon das

Getreide reifte, abgeladen. Aber auch hier wurde die Verpflegung nicht wesentlich besser. Im Nu wurde von uns das fast reife Getreide abgeerntet. Mit einigen Geschick konnten die Ähren

entkernt werden. Mit Hilfe kleiner Feuer wurden die Körner geröstet. So mancher Feldhamster

den wir fangen konnten, wurde in unseren Kochgeschirren verarbeitet. Die Verpflegung wurde nun langsam besser, es gab schon warme Speisen und wir bekamen Wehrmachts-Zeltbahnen und konnten uns mit je vier Mann ein Zelt bauen. Es begann ein richtiges Lagerleben und beim Spaziergang durch das Lager wurden sehr viele Heimatfreunde gefunden. Ich fand zuerst unseren Biliner Kirchendiener, den Fischer Datl. In unserer kleinen Runde war aber auch schon mein Schulfreund Karl Schaftschek und der Richard Partosch. Mit dem nächsten Transport kam unser Kinobesitzer Schmucker und Alfred Zosel von der Klein-Teppichfabrik, Fritz Tutzer und viele andere. Im Nebenkamp konnte ich dann meine Schulfreunde Erich Kauf und Josef Tschebisch, den Kasl Josef und den Edelmann vom Bielaufer finden. Langweilig wurde es nicht, nur der Hunger tat sehr weh, und die Gedanken gingen immer in die Heimat. Wir sprachen aber immer hauptsächlich vom guten Essen. Schmucker, der ja starker Raucher war, erzählte immer vom Kaffee-Kraus und träumte immer von den vielen Zigaretten, die er beim Kartenspielen immer nur angezündet hatte und dann meist abbrennen ließ.

„Hätte ich doch jetzt nur ein paar von diesen Tschicks, sagte er oft.

In der Zwischenzeit wurden im Lager Duschmöglichkeiten gebaut. Hätten wir all die gute Kernseife essen können, die uns die Amis zur Körperreinigung gegeben hatten, wären wir gut satt geworden. Die Amis hatten eine unheimliche Angst vor Seuchen. Wir hatten auch im Lager die Möglichkeit, zum Arzt und Zahnarzt zu gehen. Die Medikamentenversorgung aber war sehr gering.

Mitte Juli 1945 wurde das Lager mit den Gefangenen an die französischen Besatzungstruppen übergeben. Jetzt begann erst recht der Hunger. Die Amis lieferten den Franzosen zwar Lebensmittel für die Gefangenen, aber die brauchte der Franzose lieber für seine Truppen und versorgte uns dafür (unzureichend) mit den Lebensmitteln, die er in den zum Großteil beschädigten deutschen Lagerhäusern vorfand. Die Mehlsuppen schmeckten auch entsprechend. Plötzlich wurde zum Lagerappell zusammengepfiffen. Ein junger französischer Offizier begrüßte uns in deutscher Sprache, und versicherte uns, daß das Lager bald aufgelöst werde. Wer das aber nicht erwarten kann, kann sich ja zur „Fremdenlegion“ bewerben. Da geht es ihm bald gut. Einige taten das dann auch, ob es ihnen allerdings auf Dauer besser gegangen ist, weiß allein der Himmel.

Um die gleiche Zeit wurde auch bekannt gegeben, daß sich Schwerbehinderte zur ärztlichen Untersuchung wegen sofortiger Entlassung melden können. Mein Freund Karl Saftschek und

ich überlegten es uns nicht lange und hatten Glück. Wir wurden am 20.Juli 1945 in eine für uns fremde Welt entlassen. Auf den Weg zur Rheinbrücke, die wir ja überqueren mußten, kamen wir an einen Krankenhaus vorbei und bekamen dort erst einmal ein richtiges warmes Mittagessen, welches wir heißhungrig verschlangen. Weiter ging es nach Frankfurt, wo wir am Ostbahnhof erfuhren, daß für entlassene, heimatlose Kriegsgefangene eine Verpflegungsstelle bestand. Auch dort wieder Heißhunger, Gulasch und Kartoffeln. Wie soll es aber nun in Richtung Heimat weitergehen? Zugverkehr gleich null, nur Güterzüge. Vor den Bahnhof stand ein LKW mit Anhänger, der in Richtung Würzburg-Nürnberg-München weiterfuhr. Da durften wir auf dem Anhänger mitfahren. Bei einer Zwischenpause beim „Wirtshaus in Spessart“ sagte uns der Fahrer, daß er ins in Würzburg in einen Flüchtlingslager absetzen wird, in welchen viele Flüchtlinge aus dem Sudetenland untergebracht waren, vielleicht finden wir dort Bekannte. Von Flüchtlingen aus dem Sudetenland hatten wir bisher nichts gehört und waren deshalb neugierig. Wir wurden im Lager gleich von vielen Insassen umringt. „Woher kommt Ihr und wo wollt Ihr hin“ wurde immer wieder gefragt. Als wir erzählten, daß wir in unsere Heimat nach Bilin wollten, gab es verwunderte Gesichter. Habt Ihr denn noch nicht gehört, was sich zu Hause tut ? Diese Lagerinsassen waren aus unseren Nachbarkreis Dux und zum Großteil aus Langewiese und Fleyh. Sie erzählten uns davon, wie Mitte Juni und Anfang Juli die Deutschen aus Bilin und Dux bei glühender Sommerhitze zu Fuß über das Erzgebirge getrieben wurden. Wer nicht weiter konnte, wurde erschossen und die Leiche mit einen Tritt in den Straßengraben geworfen. Sie warnten uns, in Uniform nach Hause zu gehen. Was nun tun? Wir versuchten trotzdem weiter in Richtung Heimat zu kommen. Es ging durch viele Lager in denen immer wieder „heimatvertriebene Landsleute“ gefunden wurden. Darunter auch schon Bekannte. Trotzdem ging es weiter in Richtung Heimat. In Nürnberg verlor ich dann meinen Schulfreund und habe später erfahren, daß er es doch bis Bilin geschafft hat, als Bergmann am Schacht gearbeitet hat und Jahre später mit seiner Ehefrau nach der BRD ausgewiesen wurde. Ich selbst bin erst zu meinen Verwandten nach Düsseldorf und habe Ende November 1945 in Bilin unangemeldet meine Mutter und meine beiden Schwestern besucht und wieder schwarz nach Freiberg/Sachsen ausgereist. Meine Mutter hat darauf einen Ausreiseantrag gestellt und kam mit den beiden Mädchen nach. Auf der Weiterreise in Richtung Düsseldorf stand im Flüchtlingslager Hof-Moschendorf plötzlich mein ebenfalls aus der Kriegsgefangenschaft kommender Vater hinter mir. Unsere Familie war damit vollzählig.

Aus dem Lager Mainz-Hechtsheim ging Anfang August 1945 ein Transport in Richtung Heimat. Leider wurden die Gefangenen enttäuscht, denn sie wurden von den Tschechen nach Mährisch-Ostrau transportiert. Dort mußten sie viele Jahre wie Sklaven in den Kohlengruben ohne Bezahlung arbeiten. Als sie dann entlassen wurden, waren ihre Familien in ganz Deutschland verstreut. Ein zweiter Transport ging nur bis zur Bayrischen Grenze, und wurde dort von den Tschechen nicht mehr angenommen. Es ging zurück nach Frankreich, wo die ehemaligen Kriegsgefangenen in den französischen Kohlengruben, in der Industrie und bei den Weinbauern arbeiten mußten. Mitte September wurde das Lager aufgelöst. Auch diese Gefangenen, die diese große Hungersnot und Krankheiten überlebt hatten, wurden nach Frankreich zur Arbeit transportiert und erst viele Jahre später entlassen und waren nach der Entlassung auf der Suche nach ihren Familien.

Die genauen Todeszahlen werden wohl nie aufgeklärt werden können. Auf dem Hechtsheimer Friedhof sind 177 Soldaten in einer geschlossenen Grabanlage beerdigt. Wo die vielen anderen Toten beerdigt wurden, kann nicht geklärt werden.

In Bad Kreuznach-Bretzenheim wurde durch die Gemeinde auf dem „Feld des Jammers“  ein Ehrenmal errichtet und beim Ortsbürgermeister eine Dokumentationsstelle zur Erinnerung an dieses Gefangenenlager eingerichtet.

Wollen wir hoffen, daß es nie mehr notwendig sein wird, solche riesigen Kriegsgefangenenlager anzulegen. In der übersetzten amerikanischen Soldatenzeitung „Stars on Stripes“ konnten wir lesen: „Wir werden dafür sorgen, daß die Deutschen in den nächsten 90 Jahren nicht mehr zur Waffe greifen können“.  Knapp 10 Jahre später hatte man das aber bei allen vier Siegermächten vergessen.

 

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